Rückblick: 7 Internet-Trends für 2007

Was war wichtig im letzten Jahr?

Im Dezember 2006 habe ich einige Internet-Trends beschrieben (im Rahmen eines Beratungsprojekts). Nun ist ein Jahr vergangen und somit Zeit, Bilanz zu ziehen. In der Natur der Sache liegt es, dass Trends eher allgemein beschrieben werden.

Hier die sieben Internet-Trends 2007, aus heutiger Sicht kommentiert:

  1. Narzistische Motive werden als Treiber für Partizipation im Internet noch wichtiger.

    vanity
    Selbstdarstellung und Narzismus (Foto von megem519, CC-BY)
    • Worum geht es?
      Egal ob bei Xing, orkut, oder Plazes – in den Communities des Web 2.0 spielt die Selbstdarstellung eine wesentlich größere Rolle als früher. Im Usenet wurde zwar auf echte Namen Wert gelegt, profilieren konnte man sich dort jedoch nur durch die Qualität der eigenen Beiträge, nicht durch die Anzahl der virtuellen „Freunde“. Durch diesen Trend werden 2007 mehr persönliche Informationen ins Netz gestellt als jemals zuvor. Neben dem Drang zur Selbstdarstellung werden evtl. noch andere „psychologische Mechanismen“ auf das Web übertragen.
    • Was spricht dafür?
      Alle reden von Facebook und seinem deutschen Klon StudiVZ. Die Wachstumsraten sind beeindruckend, der Nutzen fraglich. Man ist, was man auf seinem Profil darstellt. StudiVZ hat es als eines der wenigen Startups aus der Web 2.0-Echokammer in den Kopf meiner „normalen Freunde“ gebracht. Der Sog unter den Studierenden war und ist enorm. Da können sich die Blogger noch so um verfehlte PR-Auftritte der Gründer aufregen. Facebook wird vermutlich bald auch auf deutsch verfügbar sein, die nächste Runde im Kampf um Mitglieder in den sozialen Netzwerken wird in Deutschland also gerade erst eingeleitet. Darüber Hinaus gibt es heute kein neues Online-Angebot mehr, das nicht mit einer „Freunde-Hinzufügen“-Funktion auskommt. In meiner Diplomarbeit untersuche ich gerade, wie man die psychologischen Mechanismen von Spielen auf Web Communities übertragen kann. Davon demnächst mehr an dieser Stelle. 🙂
    • Was spricht dagegen?
      Eine gewisse Müdigkeit ist unter den Internet-Nutzern eingetreten. Dabei geht es weniger um Bedenken zur Privatsphäre, sondern mehr um Bequemlichkeit. Tenor: „Ich will nicht überall wieder alle Daten in mein Profil eingeben müssen! Ich will nicht überall von neuem meine Freunde hinzufügen!“ Auch die Facebook-Apps, die zunächst wie eine Lösung für dieses Problem aussahen, erweisen sich als beschränkte Verbindung nach „draußen“, denn ohne Facebook geht nichts. Und so konnte Google Ende November als Retter auftreten: Open Social soll es richten. Web-Entwickler, vertraut auf die große Datenspinne und ihr bekommt Zugriff auf die begehrten Profile. In der Mitte des Netzes sitzt aber dann wieder Google. So Open ist das ja auch nicht. Übrigens: Von OpenID hörte man fast nichts. Liegt vielleicht auch daran, dass ich das Konzept meiner Schwester nicht erklären könnte.
    • Trend-Fazit: Hat meiner Meinung nach voll eingeschlagen, Narzismus treibt die Teilnahme an Web Communities.
      Weitere psychologische Mechanismen werden Folgen: Ich glaube das „nächste große Ding“ werden Spielmechaniken in Communities sein. Deshalb habe ich das ja zu meiner Diplomarbeit gemacht. Es wird spannend, wie es nun weitergeht.
  2. Online-Communities erleben eine Renaissance.

    Web Community Logos
    Web-Communities (Foto von mil8, CC-BY)
    • Worum geht es?
      Virtuelle Gemeinschaften erleben derzeit eine Renaissance. Dabei steht nicht der „User Generated Content“ im Mittelpunkt, sondern die Kommunikation unter einander. Egal ob man einen Partner bei Parship sucht oder sich ein Haus in der Welt von Second Life baut, im Internet „echten Menschen“ zu begegnen wird wichtiger.
    • Was spricht dafür?
      Siehe Trend Nr. 2 ;). Die Rampensau Second Life ist zum Glück genug durch den Mediendschungel gejagt worden, um wenigstens 2008 keiner Erwähnung mehr wert zu sein.
    • Was spricht dagegen?
      Die T-Community ist 2007 eingestellt worden und auch web.de hat einen erfolglosen Versuch unternommen, eine Community aufzubauen. So einfach ist das Ganze dann doch nicht.
    • Trend-Fazit: Im Jahr 2007 war in Sachen Community „alles möglich“.
      Vermutlich wird sich das schon dieses Jahr weiter konsolidieren.
  3. „Rich Internet Applications“ (Webapps) machen klassischer Software zunehmend Konkurrenz.

    GMail Screenshot
    GMail (Foto von Yandle, CC-BY)
    • Worum geht es?
      Neben vielen kleinen Start-Ups treibt vor allem Google die Entwicklung browserbasierter Anwendungssoftware voran. So entstehen derzeit Alternativen für Programme, die seit Jahren den Markt dominieren (z.B. GMail vs. MS Outlook und Apple Mail). Dabei gelingt es Web-Applikationen zusehends, ihre Software mit nützlichen Funktionen auszustatten, die offline gar nicht so einfach möglich wären (z.B. Kollaboration und Versionierung). Die neue Unabhängigkeit von einem bestimmten PC hat aber auch ihren Preis: die Computernutzung wird dadurch immer mehr von der Konnektivität zum Internet abhängig wird. Ein Offline-PC wird im Büro nutzlos. Ob MS Office seine neuen Wettbewerber durch geplante Funktionen wie der „Online-Zusammenarbeit“ die Wettbewerber abwehren kann, wird sich in den nächsten 18 Monaten entscheiden.
    • Was spricht dafür?
      Google hat eine Präsentationssoftware zu seinen Google Docs gepackt. Techcrunch berichtete unaufhörlich von neuen Anwendungen. Adobe AiR. Firefox Webrunner für Stand-Alone Webapps. Google Gears.
    • Was spricht dagegen?
      Mal ehrlich: Es gibt noch immer nichts besseres als MS Office. Trotz Ansätzen wie Google Gears ist die Abhängigkeit von einer Internetverbindung noch immer ein Manko, gerade im geschäftlichen Umfeld. Außerdem ist es fraglich, ob AJAX, Flash etc. mit „echten Programmiersprachen“ in punkto Stabilität und Performanz mithalten können. Und wenn der Browser wegen einer hoch-komplexen Web-Anwendung häufiger abstürzt, greift man lieber zu Offline-Alternativen.
    • Trend-Fazit: Geringere Bedeutung als ich erwartet hatte.
      Webapps sind gekommen um zu bleiben. Doch werden sie Office-Anwendungen nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Denn außer den Funktionen zur virtuellen Zusammenarbeit gibt es noch immer keinen zwingenden Grund, sich vom gewohnten MS Office abzuwenden.
  4. User Generated Content for cash

    PayPerPost pickup car
    PR-Aktion von payperpost (Foto von jurvetson, CC-BY)
    • Worum geht es?
      Nach dem Hype um „User Generated Content“ werden die User lauter nach einer handfesten Gegenleistung fragen. Mit den so entstehenden Erlösformen wird einerseits die Ehrlichkeit der Beiträge zunehmend in Frage gestellt, andererseits findet eine Professionalisierung statt, die mehr Inhalte von hoher Qualität liefert.
    • Trend-Fazit: Das ist nicht so eingetreten.
      Da habe ich die Geldgier der Nutzer, den wirtschaftlicher Gerechtigkeitssinn oder den Geldwert des UGC wohl überschätzt. 😉 Nach wie vor stellen die Menschen massenhaft Inhalte kostenlos ins Netz, ohne sich dabei um ihre Rechte / Entlohnung zu kümmern.
  5. Die Energieversorgung des Web wird Thema

    Blackle Screenshot
    Blackle (Foto von LindaH, CC-BY)
    • Worum geht es?
      Die Klimadiskussion kommt im Internet an. UN-Weltklimabericht, Al Gore bekommt den Friedensnobelpreis zu seinem Thema (Film: „eine unbequeme Wahrheit“), die Medien springen massenhaft auf, schließlich ist Negativismus ist schließlich ein wichtiger Nachrichtenfaktor. Alle Unternehmen werden zunehmend danach beurteilt, was sie gegen den großen Feind CO2 tun. Beispiel: Ein Avatar in Second Life verbraucht soviel Energie wie ein Brasilianer
    • Trend-Fazit: Auswirkungen im Web etwas geringer als ich erwartet habe.
      Die Diskussion um das Klima hätte stärker im Netz geführt werden können. Schließlich läuft ohne Strom gar nichts im Internet und auf den Schreibtischen zu Hause. Einige Beispiele gibt es aber doch: Google in energiesparendem schwarz, Strato-Server stellen auf CO2-neutrale Energie um (Pressemitteilung).
  6. Presence: Wer ist wo und macht was?

    Twitter Kontakte
    Twitter-Kontakte (Foto von luc legay, CC-BY-SA)
    • Worum geht es?
      Nur drei Worte: Twitter, Twitter, Twitter. Sinn? Welcher Sinn? Trotzdem sind alle vom web2.0-Club dabei. Mit den Facebook-Statusmeldungen hat es Mikroblogging auch in den Mainstream gebracht.
    • Trend-Fazit: Größer als ich gedacht hätte.
      Google hat Jaiku gekauft. So wie ich es auf der reboot-Konferenz erlebt habe, hätte Jaiku mehr Potential und Nutzen als Twitter. Aber man geht halt dorthin, wo die Herde ist. Hat jemand Pownce gesagt?
  7. Die Internetnutzung vom Handy wird stark zunehmen.

    Opera Mini Browser
    Surfen mit Opera Mobile (Foto von bjortklingd, CC-BY)
    • Ganz langsam gewöhnen wir uns an die Datennutzung vom Handy aus. Die Preise sinken und werden transparenter (z.B. simyo bei Prepaid oder Base bei Flatrates). Eine Mobilfunk-spezifische Killer-Applikation gibt es vielleicht gar nicht, vielmehr dient das Handy als Erweiterung aller Online-Aktivitäten: Instant messaging (Twitter), E-Mail (sehr gut: GMail mobile app), surfen im Netz (Danke, Opera für den tollen Browser!) News und eBay.
    • Trend-Fazit: Noch ist es nicht soweit, vielleicht wird es 2008 ja endlich etwas.
      Der mobile Zugang zum Internet hat den Tipping Point erreicht. Das meint auch Mobile-Internet-Guru Russ Beattie. Wir hoffen weiter, es wär zu schön.

Weitere Trends:

  • Geodaten, location-aware technologies. Standorterkennende Technologien werden das Netz auf ein neues Level bringen. Microsoft, Google, Yahoo und andere stellen Karten zu Verfügung, um bei Ortsinformationen vorne mit dabei sein zu können. Mit OpenStreetMap will die Open-Source-Gemeinde das Oligopol der Kartenanbieter brechen. Wäre schön.
  • RFID. Die Logistik und Warenwirtschaft wird grundegend umgekrempelt und kaum einer merkt’s.
  • Video. „Video killed the radio star.“ Menschen lassen sich einfach zu gern von bewegten Bildern unterhalten (siehe TV :)).

Soweit der Trend-Rundumschlag. Eins ist klar: Wir leben in aufregenden Internet-Zeiten! 🙂

Wie schätzt ihr diese Trends ein? Welche fehlen? Was wird unter-, und was wird überbewertet? Ich freue mich auf eure Ansichten und Kommentare!

Warum ich diesen Artikel schrieb: Ich wollte ein paar Themen anreißen, die mich schon vor einem Jahr beschäftigt haben.