zu Gast bei
Gestern Abend hielt Kyrie Robinson einen Vortrag bei GameDuell und ich konnte dabei sein. Thema: Creating products that customers love to use (zu deutsch also eigentlich: „Produkte machen, Kunden lieben werden zu benutzen“, aber das klingt so holprig). Kyrie ist Partnerin bei der Silicon Valley Product Group und hat davor unter anderem die User Experience für TiVo aufgebaut und geleitet (TiVo ist ein in den USA sehr erfolgreicher Festplattenrecorder, der für seine ausgezeichnete Usability berühmt ist).
Der Vortrag dauerte etwa eine halbe Stunde, und mit Produkten meinte sie passend zum Umfeld, vor allem Websites und elektronische Geräte. Davor gab’s in netter Runde Pizza für alle etwa 30 Zuhörer, die hauptsächlich bei GameDuell arbeiteten.
Was ist Interaction Design?
Diese Frage stellte Kyrie Robinson zu Beginn ihres Vortrages. Für sie liegt Interaction Design an der Schnittstelle zwischen visuellem Design, Entwicklung und Produktmanagement. Sie selbst hat Psychologie studiert und ist nach und nach in diesen Bereich hinein gewachsen. Wie kann man Interaktionen gestalten und vor allem verbessern? Kyrie empfiehlt, zu konkreten Nutzer-Aufgaben die Anzahl der notwendigen Klicks zu messen.
Wie viele Klicks? Ein Beispiel.
Eine Liste von Rechnungen auf bill.com soll gefiltert werden. Dazu war ein Dropdown-Menü vorgesehen.
- Klick: Dropdown-Menü öffnen.
- Klick: Filter „nur offene Rechnungen“ auswählen.
- Klick: Auf den Button „OK“ klicken
Stattdessen schlug Kyrie Robinson Reiter für die verschiedenen Ansichten vor, die mit nur einem Klick zu erreichen sind.
- Klick: auf Reiter „offene Rechnungen“.
Lohnt sich das Klick-Messen wirklich?
Kyrie sagt ja, denn die schlechte Bedienbarkeit entsteht durch die Summe solcher Interaktionen. Alle möglichen Handlungen auf einer Website sollen deswegen auf den Prüfstand. Halbiert man die Anzahl der notwendigen Klicks, so halbiert man die Hälfte des Aufwands und schafft so zufriedenere Nutzer.
Position und nächste Handlung des Nutzers berücksichtigen
In ihrem Vortrag betonte Kyrie immer wieder die Wichtigkeit, die Ziele der Nutzer zu berücksichtigen. Was will der Nutzer erreichen? An welcher Stelle auf dem Weg zu diesem Ziel befindet sich der Nutzer (position)? Und was ist die wahrscheinlichste nächste Handlung (next action)? Man sollte dem Nutzer bei seinem Ziel unterstützen und nicht durch zu viele Handlungsalternativen vom Weg abbringen. Beispiel: Eine fertig erstellte Online-Rechnung auf bill.com will der Nutzer vermutlich ausgedrucken um sie zu verschicken und nicht löschen. Deshalb sollte man „Drucken“ groß und deutlich machen, „Löschen“ aber nur klein und evtl. sogar an einer anderen Stelle auf der Seite.
Button oder Link?
Wichtig ist es auch, Bedienelemente nach der erwartung des Nutzers zu gestalten. Ein Button soll eine Aktion bezeichnen, z.B. das Absenden eines Formulars. Ein Link dient typischerweise der Navigation. Eine Ausnahme ist der „Logout“, eine Aktion dieüblicherweise trotzdem als Link gebaut wird.
Welche Werkzeuge setzt eine Interaction Designer ein?
Je nach Aufgabe jongliert er mit verschiedenen Planungstools und Darstellungsformen um Nutzeranforderungen und Personas zu definieren und die Usability zu optimieren.
- Analyse der möglichen Aufgaben, die ein Nutzer mit dem Produkt erledigen kann („task analysis“)
- Site Maps
- Workflows
- Konzepte
- Wireframes
Wie macht man nun Produkte, die Kunden lieben?
Kyrie Robinson beschreibt sechs Faktoren, die dabei helfen. Fokus liegt dabei auf den Prozessen, die zu einem guten Produkt führen und nicht auf Eigenschaften von guten Produkten.
- Die Zusammenarbeit zwischen Interaction Designern und Entwicklern (und dem Marketing)
Unbedingt müsssen sich Interaction Designer und Entwickler häufig über das Produkt austauschen, damit sie nicht an einander vorbei arbeiten. Die Interaction Designer basteln sonst lange an Entwürfen, Wireframes und Prototypen, die technisch nicht machbar oder auf diese Weise nicht sinnvoll sind. Die Entwickler ihrerseits bauen gerne Funktionen, die einfach und elegant umzusetzen sind. Dabei kommen langweilige oder schwer bedienbare Websites heraus. Wie bringt man Interaction Designer und Entwickler zusammen? Am besten das Büro so gestalten, dass sich beide möglichst oft über den Weg laufen und sich im Flur, am Wasserspender oder beim Lunch erzählen, was sie am Produkt eigentlich gerade planen und umsetzen. - Unterstützung durch das Management
Auch die Leitungsebene eines Unternehmens muss den Anwender in den Mittelpunkt stellen, damit Produkte entstehen können, die diese wirklich gern benutzen. Jeff Bezos, CEO von Amazon, ist ein gutes Beispiel dafür. Er sei geradezu versessen auf die Usability von Amazon und erscheint auf firmeninternen Vorträgen dazu. Damit demonstriere er seinen Mitarbeitern, wie wichtig ihm das Thema ist. - Iteration
Wiederholung ist wichtig, denn niemand macht den großen Wurf im ersten Versuch. Deshalb ist es wichtig, Prototypen zu bauen. Bei jeder Wiederholung kann das Produkt besser werden. - Feedback von Nutzern einholen
Man sollte in regelmäßigen Abständen Rückmeldungen von den Nutzern einholen, am besten wöchentlich oder zweiwöchentlich. Kyrie geht kurz auf die scheinbare Ausnahme Apple ein: Man sagt oft, Steve Jobs sei kein Freund von Kundenfeedback, was für die initiale Produktversion auch zutreffen mag. In der Entwicklung eines Produkts finden dann aber durchaus viele Nutzertests statt und das Feedback fließt mit ein (z.B. iPhone). - Passion: Leidenschaft von allen Beteiligten
Damit ein Produkt wirklich gut wird, müssen alle Beteiligten wirklich leidenschaftlich bei der Sache sein. Die „Extra-Meile“ muss gegangen werden: auch ein kleiner, nervender Bug muss von den Testern berichtet, von den Produktmanagern priorisiert und schließlich von den Entwicklern behoben werden. Nur wenn alle beteiligten das auch wirklich wollen, wird es klappen. - Ein sehr starkes Produkt- und Business Management
Als letzten Punkt betont Kyrie Robinson, dass ein gutes Produkt nur entstehen kann, wenn das Management des Produkts selbst und des gesamten Geschäfts aktiv geplant und voran getrieben wird.
Further Reading – Buchempfehlungen
Abschließend empfiehlt Kyrie Robinson vier Bücher. Alle sind sehr praxisorientiert und damit schnell und einfach zu lesen. Hier die Amazon-Links:
- The Inmates Are Running the Asylum: Why High-tech Products Drive Us Crazy and How to Restore the Sanity
- Don’t Make Me Think! A Common Sense Approach to Web Usability
- The Non-Designer’s Design Book. Design and typographic principles for the visual novice.
- Defensive Design for the Web: How to Improve Error Messages, Help, Forms, and Other Online Crisis Points
Fragen und Antworten nach dem Vortrag
Nach dem Ende des Vortrags beantworte Kyrie Robinson noch Fragen der Zuhörer.
- Wie gestaltet man ein Produkt mit Wow-Faktor, wie z.B. das iPhone?
- Ein sehr gutes visuelles Design
- Bewegung („motion“)
- Subtile „Magie“ einer Produkteigenschaft (entweder wirklich neu oder ungewöhnlich anders umgesetzt)
- Was sind wirklich gute Websites aus Sicht einer Usability Expertin – außer Amazon?
- Wie bekommt man am besten Nutzer-Feedback auf sein Produkt?
- Schnelle Umfragen per E-Mail, die nur zwei bis drei Fragen beinhalten. Guter Indikator für Zufriedenheit ist hier die Frage: „Würden Sie das Produkt weiterempfehlen?“
- Usability-Tests auch mit dem fertigen Produkt oder frisch gestarteten Produktfeature
- Telefoninterviews. Kurze formlose E-Mail an einzelne Nutzer mit der Frage, ob und wann man sie mal anrufen dürfe. Dann offene Fragen stellen.
- Web Analyse. Gut für konkrete Fragen wie: „An welcher Stelle des Einkaufprozesses steigen die Kunden aus?“
Insgesamt fand ich den Vortrag sehr inspirierend. Der Funke ist sicher zur vielen Zuhörern übergesprungen!